Tradition trifft Innovation: In der Gruppenpraxis in Hainfeld arbeiten Dr. Helmut Dultinger und Dr. Clemens Vanicek generationsübergreifend Seite an Seite. Im Interview sprechen sie darüber, wie Hausarztmedizin früher war und heute ist, was junge Ärztinnen und Ärzte motivieren kann, eine Kassenpraxis zu übernehmen – und warum Patientinnen und Patienten von diesem Teamgeist profitieren.
Von Generation zu Generation: Zwei Ärzte – eine Praxis, ein Ziel
Herr Dr. Dultinger, Sie haben die Praxis in Hainfeld über viele Jahre aufgebaut. Was war damals Ihre Motivation, eine Kassenpraxis zu übernehmen?
Dr. Dultinger: 2006 habe ich die Praxis meines Vaters übernommen und gemeinsam mit Dr. Wolfgang Egger (Anm.: Vorgänger von Dr. Vanicek) die Gruppenpraxis Hainfeld gegründet. Ich kannte die Arbeit einer Hausarztpraxis seit meiner Kindheit und wusste, dass ich in die Fußstapfen treten will. Teamarbeit war mir immer wichtig – und darauf baut unsere Ordination bis heute. In 19 Jahren hatten wir keinen einzigen Schließtag an Werktagen. Das zeigt, wie verlässlich wir für unsere Patientinnen und Patienten da sind.
Herr Dr. Vanicek, Sie sind Teil der jüngeren Ärztegeneration. Was hat Sie an der Praxis in Hainfeld besonders gereizt?
Dr. Vanicek: Ich war hier selbst Patient – mein Vorgänger war mein Hausarzt. Nach meiner Ausbildung habe ich als Vertretungsarzt in der Ordination gearbeitet und den Innovationsgeist und den Zusammenhalt des Teams erlebt. Hier wird nicht verwaltet, sondern weiterentwickelt. Das, kombiniert mit dem wertschätzenden Miteinander, hat mich überzeugt.
Wie gelingt es, Patientinnen und Patienten über Generationen hinweg zu betreuen – und was macht diese Arbeit besonders?
Dr. Dultinger: Wir können auf ein starkes Team zählen. Die Menschen schätzen die langen Öffnungszeiten, die moderne Ausstattung und dass sie sich ihren Arzt aussuchen können. Allgemeinmediziner müssen vieles können – fast wie Zehnkämpfer.
Dr. Vanicek: Besonders schön finde ich, dass wir oft ganze Familien betreuen – vom Neugeborenen bis zu den Großeltern. Diese Vielfalt macht die Allgemeinmedizin einzigartig.
Welche Unterschiede erleben Sie beide, wenn Sie die Kassenpraxis „früher“ und „heute“ vergleichen?
Dr. Dultinger: Mein Vater hatte schon damals ein durchdachtes Konzept mit Besprechungs- und Therapieraum. Heute haben wir zusätzlich ein modernes Point-of-Care-Labor und profitieren enorm von der Digitalisierung. Statt Karteikarten zu wälzen, genügt heute ein Klick.
Die ÖGK hat in den vergangenen Jahren unterschiedliche Ordinationsmodelle erfolgreich in Österreich eingeführt. Sie beide haben sich für die Gruppenpraxis entschieden. Wie sind Sie zusammengekommen? Welche Unterstützung haben Sie bei der Umwandlung auf die neue Ordination durch die ÖGK erhalten?
Dr. Dultinger: Als wir den Wechsel 2025 zu „Allgemeinmedizin Hainfeld“ durchgeführt haben, war die Ordination bereits etabliert. Beim Übergang war die ÖGK ein verlässlicher Partner.
Dr. Vanicek: Für mich waren die Jungmediziner-Veranstaltungen der ÖGK besonders interessant. Auch organisatorisch gibt es viel Unterstützung – das erleichtert den Einstieg.
Viele junge Ärztinnen und Ärzte zögern, eine Kassenpraxis zu übernehmen. Was würden Sie ihnen mitgeben?
Dr. Dultinger: Die entscheidende Frage lautet: Will ich selbstständig arbeiten oder angestellt? In der eigenen Praxis kann ich Abläufe selbst gestalten und mein Team auswählen – das ist ein großer Vorteil.
Dr. Vanicek: Wer innovativ arbeiten möchte, hat in der Praxis mehr Freiraum. Mein Rat: die Lehrpraxisstelle mit Bedacht auswählen, vorher Probearbeiten oder Schnuppern. Wenn die Lehrpraxiszeit gut verläuft, nimmt das die Angst vor dem Schritt in die Selbstständigkeit.
Wie könnte man aus Ihrer Sicht junge Ärztinnen und Ärzte wieder mehr für Landarztpraxen gewinnen?
Dr. Dultinger: Es wäre wichtig, die Vielfalt der Kassenmodelle schon im Studium zu zeigen. Ein Start in einer Gemeinschaftspraxis ist oft leichter als in einer Einzelpraxis.
Dr. Vanicek: Lehrpraxen sind der beste Zugang. Wer dort Erfahrungen sammelt, versteht den Alltag und erkennt die Vorteile einer Landarztpraxis.
Früher war der Hausarzt oft der erste und einzige Ansprechpartner in Gesundheitsfragen. Wie hat sich die Rolle des Hausarztes verändert?
Dr. Dultinger: Das persönliche Gespräch ist nach wie vor entscheidend – auch wenn viele zuerst „Dr. Google“ fragen. Manchmal heißt das auch, Patientinnen und Patienten von unnötigen Untersuchungen abzuraten. Dafür braucht es Erfahrung und Fingerspitzengefühl.
Herr Dr. Dultinger, wie haben Sie den medizinischen Alltag noch ohne digitale Unterstützung erlebt?
Dr. Dultinger: Telemedizin gab es in gewisser Weise schon immer – Patientinnen und Patienten haben angerufen und ihre Beschwerden geschildert. Natürlich sind die Möglichkeiten heute ganz andere. Neu ist, dass Online-Bewertungen eine Rolle spielen – manchmal auch kritisch, ohne dass die Hintergründe bekannt sind.
Welche digitalen Tools nutzen Sie derzeit und wie erleichtern sie Ihre Arbeit?
Dr. Dultinger: ELGA ist eine große Hilfe, ebenso Schnelltests für Blut oder Urin. Das spart Zeit und verbessert Entscheidungen.
Dr. Vanicek: Wir verwenden einige Decision-Support-Tools, Point-of-Care Ultraschall und Labor. Seit neuestem nutzen wir auch die KI für Decision-Support, etwa bei der Evaluierung von Hautläsionen.
Welche digitalen Entwicklungen wünschen Sie sich für die Zukunft in Ihrer Ordination und in der Zusammenarbeit mit der ÖGK?
Dr. Vanicek/Dr. Dultinger: Wir brauchen schlankere Prozesse und einen reibungsloseren Datenfluss.
Wie vereinbaren Sie beide Beruf und Privatleben?
Dr. Dultinger: Durch die Gruppenpraxis ist die Balance gut möglich. Die Arbeit macht Freude – und das wirkt sich auch positiv auf die Familie aus.
Dr. Vanicek: Wir sind ein eingespieltes Team. Das erleichtert es enorm, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.
Was macht Ihre Praxis in Hainfeld besonders? Wurde das Angebot der Ordination erweitert?
Dr. Dultinger: Wir konnten junge Kolleginnen und Kollegen gewinnen und bieten für unsere Patientinnen und Patienten seit zwei Jahrzehnten eine kontinuierliche Betreuung. Mein Vater hat sogar bis Mai 2025 mit 80 Jahren noch in der Praxis als Vertretung mitgearbeitet.
Dr. Vanicek: Unser Team vereint Erfahrung und Innovationsgeist. Wir bauen auf Aus- und Weiterbildung sowohl bei uns Ärztinnen und Ärzten, als auch bei den DGKPs und Ordinationassistentinnen und -assistenten. Wir legen viel Wert auf Zufriedenheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, entwickeln neue Ideen und geben Wissen in unserer Lehrpraxis weiter.
Zur Person – Dr. Helmut Dultinger
geboren 1970 in Lilienfeld
verheiratet, 4 Kinder
Studium der Medizin an der Universität Wien 1988-1999
2006 Gründung der Gruppenpraxis für Allgemeinmedizin gemeinsam mit Dr. Wolfgang Egger
2025 Umgründung der Allgemeinmedizin Hainfeld mit Dr. Vanicek
Lehrbeauftragter an der KL – Karl Landsteiner University of Health Sciences
Heimarzt im Pflege- und Betreuungszentrum Hainfeld
Präsidiumsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein und Familienmedizin
Obmann-Stv. der Austrian Primary Care Association - APCA
Zur Person – Dr. Clemens Vanicek
geboren 1992 in Lilienfeld
Ausbildung an der Paracelsus Medizinischen Universität (PMU) in Salzburg und an der Yale University School of Medicine in New Haven/USA
Promotion zum Dr. med. univ. im Jahr 2017
Abgeschlossene USMLE- und ECFMGZertifikate
seit 2022 im Team der Gruppenpraxis Dultinger/Egger
seit 1. Jänner 2025 Kassenstelle von Dr. Wolfgang Egger übernommen
Lehrbeauftragter an der KL – Karl Landsteiner University of Health Sciences
Heimarzt im Pflege- und Betreuungszentrum Hainfeld
Infos über die Praxis:
- Lehrordination der KL Krems, Med Uni Wien, Med Uni Graz, JKU Linz und PMU Salzburg
- Lehrpraxisordination zur Ausbildung zum Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin