Univ.-Prof. Dr. Gartlehner und sein Team überprüfen Gesundheitsmythen unabhängig und evidenzbasiert und veröffentlichen ihre Erkenntnisse auf der Website medizin-transparent.at. Das spart sowohl Patientinnen und Patienten - als auch Ärztinnen und Ärzten wertvolle Zeit für Recherche.


Wie kam es dazu, dass Sie Medizin transparent ins Leben gerufen haben?

Medizin transparent wurde gegründet, um zentrale Defizite im österreichischen Gesundheitssystem anzusprechen. Die Gesundheitskompetenz in Österreich ist gering, viele Menschen können gesundheitliche Informationen in Medien nicht richtig einordnen. Soziale Medien verstärken Desinformation, da emotionalisierte, pseudowissenschaftliche Inhalte dort bevorzugt verbreitet werden. Gesundheitliche Themen in Medien enthalten häufig gezielt Falschinformation, oft mit kommerziellem Interesse. Produkte und Therapien werden mit falschen Versprechen vermarktet - auf Kosten der öffentlichen Gesundheit und auf finanzielle Kosten der Bürgerinnen und Bürger. Gleichzeitig fehlt in Österreich eine öffentliche, niederschwellige Anlaufstelle, bei der Bürgerinnen und Bürger evidenzbasierte Antworten zu gesundheitlichen Themen, die in Medien verbreitet werden, erhalten können.

Medizin transparent wurde daher als unabhängige, wissenschaftlich fundierte Informationsquelle geschaffen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung zu stärken.



Wie hat sich die Gesundheitskompetenz der Menschen in den letzten Jahrzehnten entwickelt und wie hat die Covid-19 Pandemie dazu beigetragen? Sind Menschen bereit, sich evidenzbasierte Informationen zu holen?

Die Gesundheitskompetenz hat sich in den letzten Jahrzehnten insgesamt verbessert, ist aber weiterhin unzureichend. Eine europaweite Studie zeigt beispielsweise, dass in Österreich noch immer 47 % der Bevölkerung Schwierigkeiten hat, die Vertrauenswürdigkeit von Gesundheitsinformationen im Internet zu beurteilen.

Die COVID-19-Pandemie hat diese Problematik deutlich gemacht: Personen mit geringer Gesundheitskompetenz waren besonders anfällig für Fehlinformationen und Desinformationen - etwa zu Impfungen oder angeblichen Heilmitteln wie Ivermectin.

Es gibt ein starkes Bedürfnis in der Bevölkerung nach wissenschaftlich fundierten Gesundheitsinformationen – das zeigt die hohe Nachfrage bei Medizin transparent mit rund 1,5 Mio. Zugriffen pro Jahr. Auch das Interesse der Medien ist groß, allein 2024 war Medizin transparent Gegenstand von 37 Fernseh-, Radio-, Zeitungs- und Zeitschriften-Berichten. Der Informationsbedarf übersteigt unsere Kapazitäten deutlich – wir erhalten weit mehr Anfragen, als wir beantworten können. Das unterstreicht, wie wichtig qualitätsgesicherte Angebote wie Medizin transparent sind, um Gesundheitskompetenz langfristig zu stärken und Falschinformationen wirksam entgegenzutreten.


Gab es für Sie eine bestimmte Erkenntnis im Rahmen von Medizin transparent, die Sie besonders überrascht hat?

Eine besonders prägende Erkenntnis für mich ist, wie schwer vielen Menschen die Unterscheidung zwischen redaktionellen Inhalten und gut gemachter Werbung fällt. In vielen Fällen treten kommerzielle Interessen in Form scheinbar objektiver Information auf: über Pressetexte, gekaufte Expertenmeinungen oder industriegesteuerte Studien.

Journalistinnen und Journalisten sind in diesem System oft unter starkem Zeitdruck und werden – teils unbewusst – zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren solcher Inhalte. Die notwendige kritische Prüfung oder Recherche ist im redaktionellen Alltag häufig nicht möglich.

Bei Medizin transparent haben wir den Vorteil, Zeit und Ressourcen für eine gründliche evidenzbasierte Analyse zu investieren. Wir sehen es deshalb auch als unsere Aufgabe, eng mit Journalistinnen und Journalisten zusammenzuarbeiten – um Hintergrundwissen zu liefern, Fehlinformationen zu entkräften und so die Qualität der Gesundheitskommunikation in Medien zu stärken.


Medizin transparent hat auch schon einige gerichtliche Klagen hervorgerufen und auch gewonnen. Bestätigt Sie das in Ihrem Tun?

Medizin transparent bekommt regelmäßig Klagsdrohungen und wurde zwei Mal auch tatsächlich verklagt. Beide Prozesse haben wir gewonnen. Es handelt sich bei diesen Klagen immer um sogenannte SLAPP (Strategic Lawsuit Against Public Participation)-Klagen. Ziel solcher Klagen ist es nicht primär, einen Rechtsstreit zu gewinnen, sondern kritische Stimmen - etwa von Journalist*innen, Wissenschaftler*innen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen - durch Einschüchterung, finanzielle Belastung und hohen Aufwand mundtot zu machen oder zum Rückzug zu bewegen. Der Industrie ist in solchen Fällen oft bewusst, dass sie juristisch wenig Aussicht auf Erfolg hat.

Überraschend - und ernüchternd - war dabei, wie hoch das finanzielle Risiko für uns trotz gewonnener Verfahren bleibt. Zwar werden gerichtlich festgelegte Kosten ersetzt, aber wir blieben dennoch auf mehreren zehntausend Euro an Anwaltskosten sitzen.


Wie kann Medizin transparent praktizierende Ärztinnen und Ärzten in der täglichen Arbeit unterstützen?

Viele Patientinnen und Patienten kommen mit Fragen zu alternativmedizinischen Verfahren, Nahrungsergänzungsmitteln oder vermeintlichen Gesundheitstrends in die Praxis, deren Wirksamkeit unklar oder gar widerlegt ist. Häufig handelt es sich auch um Fehlinformation aus den sozialen Medien, dem Internet oder den Medien. Ärztinnen und Ärzte haben im klinischen Alltag jedoch nur wenig Zeit und Ressourcen, solche Fragen im Detail zu prüfen. Hier bietet Medizin transparent eine große Zeitersparnis bei der Einordnung der Evidenz. Zudem lassen sich die Texte von Medizin transparent gut im Beratungsgespräch mit Patientinnen und Patienten einbauen, da sie speziell für Laien geschrieben und daher besonders gut verständlich sind.